Mein Abschied von Victor 3/4
Unter Tage gibt es unter Kumpels eine große Kameradschaft. Einer muss sich auf den anderen verlassen können - denn oft hängt das eigene Leben davon ab. Religion und Hautfarbe spielen keine Rolle, denn alle sind gleich, gleich schwarz vor Kohlenstaub. Doch es gab natürlich auch unter Tage Nazis. Mit einem bin ich aneinandergeraten.
Ich ging zwar erst nach dem Krieg in den Bergbau, doch der alte Vogt erzählte mir von einem damals jungen Steiger, der ein 110%iger Nazi war. Der war während des Krieges mit den unter Tage auf Zeche Victor als Zwangsarbeiter eingesetzten russischen Kriegsgefangenen nicht "zimperlich" (vorsichtig formuliert) umgegangen.
Nach dem Krieg, nach der Entnazifizierung, war dieser Nazi als Fahrsteiger auf Victor 3/4 eingesetzt, und so kannte ich ihn dann auch. Er schikanierte uns immer wieder und brüllte uns an.
Eines Tages kam er als Fahrsteiger in unseren Betrieb, sah nach dem Sprengen den Bruch (die Sprengung hatte mehr umgehauen als beabsichtigt) und brüllte und tobte wie ein Wilder.
Da sagte ich zum ihm: "Es geht auch leiser. Denn wir verstehen Sie gut. Wir sind keine russischen Gefangenen." Da fing er erst recht an herumzuschreien: "Wenn Du Steiger werden willst, musst Du noch kuschen lernen und bis dahin werde ich Dir das Leben schwer machen!"
Da platzte mir der Kragen. Ich nahm ihm seine Meterlatte (ein einen Meter langer Stab, ein Steigersymbol, Zeichen seiner Ehre und Würde) ab und wollte ihn damit verprügeln. Doch im letzten Moment siegte mein Verstand und ich hielt im Schlag inne. Ich zerbrach seine Meterlatte mit meinen Händen und warf ihm die Bruchstücke zu Füssen. Für mich besass er weder Ehre noch Würde.
Ich drehte mich um, fuhr dann raus und habe sofort gekündigt. Meine Ausbildung als Steiger konnte ich erstmal abschreiben.
Aber so einer, der sollte nie wieder Macht über mich haben.
Bravo.